Hätte es im 18. Jahrhundert schon Google Streetview gegeben, dann hätte man auf dem Gebiet des heutigen Stadtbezirks Stühlinger nichts als Wiesen und Sumpf gesehen. Nach heutigen Maßstäben wäre die Gegend ein Naturschutzgebiet gewesen, mit Vögeln, die dort brüteten, und verschiedenen Gräsern und Wiesenblumen. Die einzigen Menschenseelen, die ab und an vorbeikamen, waren Bauern aus dem nahe gelegenen Bentzenhausen, die auf dem Weg zum Markt waren und einen Heuweg durch Stühlinger benutzten. Die Herrscher von Stühlinger hatten ihr Haupteinkommen aus der Landwirtschaft.
Das änderte sich aber im 19. Jahrhundert. Die Bevölkerung begann in ganz Deutschland zu wachsen, und so ebenso um Freiburg. Industrien wuchsen und brauchten Arbeiter, diese wiederum benötigten Unterkünfte. Gleichzeitig wurde die erste Bahnlinie gebaut, die Offenburg mit dem schweizerischen Basel verband. Die Bahn war damals zum großen Teil für den Güterverkehr gedacht und Bahnhöfe wie Freiburg, die entlang der Trasse lagen, profitieren davon. Nach dem Krieg gegen Frankreich begann die Region sich wirtschaftlich zu entwickeln. Sümpfe und Wiesen wurden trockengelegt und die ersten Häuser entstanden. Der einstige Heuweg ist übrigens heute die Straßenbahnlinie.
Herrscher gaben dem Gebiet seinen Namen
Eigentlich war der Stühlinger nur ein Baugebiet am Rand von Freiburg, hinter dem Bahnhof gelegen und auf dem Reißbrett geplant. Daher rührt heute noch das Straßenraster. Den Namen Stühlinger bekam das Gebiet offiziell 1886, als Grundlage dienten die gleichnamigen Adligen, die hier einst herrschten.
Mit dem wirtschaftlichen Wachstum Freiburgs wurde der Bezirk immer mehr ins Stadtgebiet integriert. Es wurde sogar eine Kirche gebaut. die an den Limburger Dom erinnert. Es dauerte vier Jahre, um das Gotteshaus zu errichten, 1897 wurde dann die Einweihung am Stühlinger Kirchplatz gefeiert. Die Herz-Jesu-Kirche wurde zum Mittelpunkt, der Vorplatz sehr belebt. Wie in vielen anderen Städten und Gemeinden entstanden im Umfeld die ersten Schulen.
Einfluss aus Limburg
Die Kirche bedeutete viel für Stühlinger, denn damit bekam es eine Bedeutung als eigene Einheit und nicht nur als Ansammlung von Häusern. Der Grund für die Ähnlichkeit mit dem Limburger Dom komm nicht von ungefähr: Im Jahr 1886 wurde der Limburger Bischof Johannes Christian Roos nach Freiburg versetzt und brachte gleich noch seinen Baumeister mit. Der machte sich umgehend an die Arbeit und legte einen Entwurf vor, der seinem Bischof natürlich gefiel.
Nachdem sich immer mehr Menschen niedergelassen hatten, verbesserte sich die Infrastruktur und der Bezirk wurde für Unternehmen interessanter. Das Gaswerk war eine der größten Anlagen, die hier errichtet wurden. Es folgte später ein Elektrizitätswerk und es ließen sich Baufirmen nieder. Etwa 20 Jahre nach der katholischen Kirche bekam der Bezirk ein Gotteshaus für die Protestanten.
Stühlinger hat niemals Stadtrechte erhalten und ist heute in die beiden Bezirke Stühlinger-Eschholz und Alt-Stühlinger unterteilt. Verwaltungstechnisch ist es ein Teil der Stadt Freiburg. Man erkennt optisch nicht mehr, dass es sich einst um ein Wiesengebiet handelte.